Hannestad, Lise: Nicator. Seleucus I and his Empire. 176 p., color ill., ISBN : 978-87-7219-173-7, 249,95dkk/£30/$37
(Aarhus University Press, Aarhus 2020)
 
Rezension von Jörn Kobes
 
Anzahl Wörter : 2851 Wörter
Online publiziert am 2021-04-30
Zitat: Histara les comptes rendus (ISSN 2100-0700).
Link: http://histara.sorbonne.fr/cr.php?cr=3955
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         Eine Biographie zu Seleukos Nikator – Makedone, Soldat, Kommandant, Vertrauter, Erbe, Feind, Verbündeter, Rächer, König, Ehemann und Vater, Dynastiegründer – ist nichts Neues, aber immer wieder interessant, wenn einige Zeit nach einer letzten umfangreichen Studie – hier sind die beiden Seleukos-Biographien von Andreas Mehl (1986) und John Grainger (²1996) zu erwähnen – ein neues Werk vorgelegt wird, das wiederum mit neuen Quellen, Bruchstücken und Informationen eine Charakterisierung eines der bedeutendsten Nachfolger Alexanders III. des Gr.(oßen) unternimmt, die uns in Bereichen über das bisher Bekannte weiterführt. Das gelingt, um es jetzt schon vorwegzunehmen, H(annestad)., ihres Zeichens ausgewiesene Kennerin der hellenistischen Geschichte und vorderasiatischen Archäologie, auch wenn ihre Vorgehensweise auf den ersten Blick traditionell genannt werden kann. Damit ist jedoch keine negative Konnotation verbunden; denn die traditionelle Geschichtsschreibung der hellenistischen Geschichte, orientiert an der Ereignisgeschichte und ihrer Wiedergabe, ist wahrscheinlich auch die beste Möglichkeit, das verwirrende Durcheinander der Jahrzehnte nach Alexanders Tod zu entknoten. Wir finden uns in den etwas mehr als 40 Jahren nach Alexanders Tod bis zur Schlacht von Kurupedion und den Ereignissen, die zur Ermordung des Seleukos durch Ptolemaios Keraunos führten, von Griechenland und Thrakien über Kleinasien, dem Vorderen und Mittleren Orient, Ägypten bis an den Indus wieder, exakt dem Reich, das Alexander durchmarschiert war. Mit Kurupedion und der Ermordung des Seleukos war die Staatenbildung der hellenistischen Reiche (bis auf kleinere Veränderungen) vorerst abgeschlossen. Die folgenden Kriege und Auseinandersetzungen zwischen den Reichen führten ja nicht zu radikalen Umwerfungen – die traten erst zu Tage, als sich die Römer auch militärisch nach Osten orientierten.

 

         Mit der Einführung wendet sich H. gleich der Überlieferung und den Quellen zu. An wichtigen griechischen literarischen Quellen sind in den letzten 40 Jahren keine neuen Texte hinzugekommen, einzig in den dokumentarischen Zeugnissen, d.h. Inschriften (griechischer Raum), Papyri (Ägypten) und Tontäfelchen (Babylon und Zweistromland), sind Zuwächse bemerkbar gewesen, die in den Zusammenhang gestellt werden.

 

         Mit dem folgenden Kapitel beginnt H. die biographische Skizze des Seleukos mit der ersten Nennung des späteren Dynastiegründers in Arrians Alexanderzug gegen Poros. Seleukos gehörte 326 zum Kreis der hetaíroi, den königlichen Gefährten und engstem Beratergremium des makedonischen Königs. Hier taucht er unvermittelt auf, obwohl er am Feldzug seit dem Anfang teilgenommen hatte. Zwei Jahre später sehen wir Seleukos am Hof in Susa als aktiven Teilnehmer an der »Massenhochzeit von Susa«, dann wieder, ein Jahr später, befindet er sich ebenfalls im Umkreis des Königs, als dieser am 10./11. Juni 323 verstarb. Es sind Schlaglichter, in denen wir ihn sehen — so kurz können seine Herkunft, Ausbildung und sein »social standing« im Königsgefolge umrissen werden, die Quellen geben nicht mehr her, und H. hütet sich auch mit Recht, mehr aus der disparaten Quellenlage herauslesen zu wollen.

 

         Das anschließende (III.) Kapitel widmet sich den Folgen und Ereignissen nach Alexanders Tod, als das makedonische Heer sein Unverständnis über die ins Auge gefassten Nachfolgeregelungen äußerte. Da Alexanders persische Frau Roxane schwanger war und kurz vor der Geburt stand, wurden der geistig eingeschränkt belastbare Bruder Alexanders, Philipp mit dem Beinamen Arrhidaios, und der ungeborene Sohn Alexanders (wenn es ein Sohn werden sollte) zu »gleichberechtigten« Nachfolgern ernannt. Für beide Nachfolger jedoch war ein Thronanwärter notwendig, dazu wurde der ranghöchste Feldherr und »Gefährte« Perdikkas bestimmt. Alexanders Tod und die Nachfolgeregelungen, die sehr kontrovers diskutiert wurden, ließen die Kriegshandlungen erst nach der Konferenz von Triparadeisos aufleben. Dies handelt H. recht kurz und knapp ab — auch hier fehlen informativere Quellen als die uns vorliegenden.

 

         Die Überlebenden des Argeadenhauses waren spätestens mit Triparadeisos interessantes »Freiwild«, sie wurden für die Herrschaftslegitimation benötigt und »entsorgt«, wenn sie ihren Zweck erfüllt hatten. Seleukos handelte anders, er setzte nach der Konferenz auf Perdikkas, vielleicht zum Teil auch aus dem naheliegenden Grund, dass die Regelungen ihn zum Satrapen von Babylonien und damit zum Nachbarn des Perdikkas gemacht hatten. Gleichzeitig suchte er die Nähe zu dessen präsumtiven Nachfolger Ptolemaios, der sich in Besitz des Leichnams Alexanders gebracht hatte; den dreien, dazu noch Kassandros und sein Vater Antipatros als Königsvertreter in Makedonien, stand mit Antigonos und (später) seinem Sohn Demetrios eine schlagkräftige Koalition gegenüber, die in den nächsten 20 Jahren die Geschicke im östlichen Mittelmeerraum gestaltete.

 

         In Kapitel 4 dreht sich für H. alles um Seleukos’ Flucht zu Ptolemaios nach Ägypten und seine Rückkehr nach Babylon mit Hilfe des Satrapen von Ägypten. Nur hier konnte er die notwendige Unterstützung erhalten. Für H. hatte dies einen einfachen Grund: Alexanders Indien-Feldzug schweißte die teilnehmenden Diadochen zusammen – die anderen, die nicht mitmarschiert waren (wie Antiogonos), waren aus dieser Gruppe ausgeschlossen und wurden bekämpft. Überhaupt war eine der beherrschenden Legitimationsfragen der militärische Zug an die östlichen Grenzen des Reiches, die sich wie ein roter Faden durch die hellenistische Geschichte zog und noch den Urenkel des Seleukos drängte, eine Anabasis in die Oberen Satrapien durchzuführen. Gerade deshalb war das Band, das der makedonische König mit seinen Gefährten gebunden hatte, eine Legitimationsfessel, die den anderen abging.

 

         Dagegen war Seleukos an den Verhandlungen und dem Friedenschluss im Jahr 311 nicht einmal entfernt beteiligt. Er war, so H. sicher zu Recht, außen vor, die anderen Diadochen waren gezwungen, ihn aktuell einzubinden. Aber sie benutzten ihn als Puffer, als Spielstein gegen Antigonos – mit seiner Rückkehr aus Indien und den Oberen Satrapien war er bildlich wieder im Spiel und rechtzeitig vor der nächsten militärischen Auseinandersetzung. Das Alexanderreich war spätestens 311 aufgeteilt, nur noch wenig verwies auf das alte Argeadengeschlecht, das die Diadochen Schritt für Schritt ausgelöscht hatten; Olympias, Alexanders Mutter, Alexanders persische Frau Roxane und ihr gemeinsamer Sohn Alexander (IV.) sowie dessen Onkel Philipp (Arrhidaios) waren nacheinander ermordet worden.

 

         Nach schließlich fünf Jahren wurde die entstandene Lücke gefüllt, und die Diadochen, zuerst Antiogonos und sein Sohn Demetrios nach dessen Seesieg beim zyprischen Salamis, dann folgten die anderen, krönten sich zu basileîs. Seleukos zog schnell nach, musste er sich doch gegen Antigonos und Demetrios erwehren und auf die Hilfe seiner Kollegen hoffen. Aber, so H., er war ebenfalls siegreich gewesen in den iranischen Satrapien und gegen fremde Könige (Sandrakottos), so dass er um 305/304 v.Chr. mit gleichem Recht – jedoch anderer Güte – das Diadem einforderte. H. hebt deshalb auch hervor, dass er berechtigt König genannt werden konnte, auch wenn die Zugewinne auf dem indischen Subkontinent kleiner als geplant ausgefallen waren.

 

         Die erste Entscheidungsschlacht fand durch die konzentrierte und massierte Zusammenziehung aller verfügbaren Kräfte bei Ipsos statt, um endlich Antigonos in die Schranken zu weisen. H. stellt augenscheinlich die beiden Schlachtreihen gegeneinander auf, wobei das Übergewicht an (Seleukos’) Kriegselefanten die Entscheidung brachte. Antigonos fiel, Demetrios kam zu spät und verlor jegliche Legitimation – Seleukos war oben auf und begann jetzt, die Politik zu gestalten.

 

         Mit dem 5. Abschnitt widmet sich H. dem letzten biographischen Abschnitt, den beiden Dekaden zwischen der Schlacht von Ipsos, der Niederlage und dem Tod des Lysimachos bei Kurupedion (wahrscheinlich Februar 281) und der Ermordung des Seleukos beim europäischen Lysimacheia durch Ptolemaios Keraunos (wohl September 281). Seleukos gab einem alten póthos (vielleicht am besten mit Bedürfnis zu übersetzen), der Rückkehr nach Makedonien, nach und beanspruchte als Schlachtensieger das Reich des Lysimachos. Knapp acht Monate später fiel Seleukos – Ironie des Schicksals – einem vom Hof verstoßenen Sohn Ptolemaios’ I. zum Opfer. H. hebt dabei eigens hervor, dass Seleukos 281/280 der letzte und einzige der Gefährten Alexanders d. Großen war, alle anderen waren kurz zuvor entweder in ihrem Reich verstorben oder im Kampf gegen Seleukos gefallen. Mit seiner Ermordung hat das Zeitalter der Diadochen ein definitives Ende gefunden.

 

         Die zweite Hälfte des Buches ist den systematischen Topoi einer Reichsverfassung und Königsherrschaft gewidmet. H. beginnt wenig überraschend mit »Economy and Administration« und legt hier zunächst Nachdruck auf die Tatsache, dass Alexander und seine Nachfolger natürlich auf die bestehenden Bedingungen und Verhältnisse Rücksicht nahmen und möglicherweise eine Mischverwaltung aus achämenidischen und griechisch-makedonischen Bestandteilen konstruierten. Kenntnisse aus diesen Vorbedingungen zu ziehen, scheitern aber weiterhin an der unzulänglichen Quellenlage. Zeitgenössische Historiker, zufällige Testimonien meist epigraphischer oder numismatischer Herkunft, in Sprachen, deren Kenntnisse nicht überall im Reich vorhanden sein mussten, dabei aber die Reichsgrenzen von mehreren Tausend Kilometern immer im Blick zu halten, daran leiden alle modernen Darstellungen der seleukidischen Reichsgeschichte – gegen die Zustände in einem fest umrissenen Gebiet wie dem ptolemäischen Ägypten oder dem antigonidischen Griechenland.

 

         Die wirtschaftliche Nutzung der Ressourcen war für Seleukos immer höchste Forderung; auch deshalb war der Reichsosten immer wieder als unerschöpfliche Quelle bekannt und umkämpft – Seleukos hat zwanzig Jahre diese Kämpfe durchstehen müssen. Dabei gewann das Münzregal in vielerlei Hinsicht eine überaus wichtige Bedeutung. Seleukos nutzte dieses Auskommen von Anfang an. Die Neuorganisation der seleukidischen Münzen in Babylon, Susa und den östlichen Satrapien waren Kennzeichen dieser zentral gesteuerten Wirtschaftspolitik, wobei immer wieder lokale Einflüsse in das System einflossen. Daneben schlüsselt H. alle wichtigen wirtschaftlichen Stellschrauben und ihre Akteure auf. Der königliche Zugriff auf Metalle, landwirtschaftliche Erzeugnisse und Wälder sorgte für Erhalt, Stärkung und Ausbau der königlichen Macht. Gleiches gilt für die Steuereinahmen, die eine dauernde Quelle waren. H. nimmt in aller notwendigen Kürze die vorhandenen Quellentexte (wie die Inschriften für Mnesimachos aus Sardeis, für Aristodikos aus Assos, für Laodike aus Didyma, die ps.-aristotelische Oikonomía, Papyri und die Babylonian Astronomical Diaries (ed. Sachs/Hunger [1988]) in den Blick – kennzeichnend ist hier allerdings, dass alle ausführlichen Texte aus dem griechischen bzw. lange hellenisierten kleinasiatischen Raum stammten. Zu wenige umfangreiche Texte können die Realität im Reichsosten aufzeigen, H. ist sich deshalb sicher in einem Punkt: Vergleichbar sind der »griechische« Westen und der »achämenidische« Osten aufgrund der Quellenlage nicht, Analogien helfen in keiner Weise. H. stellt deshalb einige verschiedene Quellen aus beiden Reichsteilen gegenüber; wir erkennen unterschiedliche Zugänge, welche die Herrscher einschlugen, um die untergebene Bevölkerung anzusprechen; im Osten war das Sprachrohr das städtische indigene Priesterwesen, im Westen waren es die griechisch geprägten Bundes- und Stadtorgane, die den Austausch mit den Monarchen regelten. Schließlich kommt H. noch zu den phíloi – ohne sie und ihre Loyalität war das Reich jedoch nicht zu verwalten. Alexanders hetaíroi wurden sinngemäß Seleukos’ (und seiner Nachkommen) phíloi. Einzig ist für H. wichtig: Die bedeutendsten waren Makedonen und Griechen, erst in den rangtieferen Chargen waren Einheimische, also Nichtgriechen, zu erwarten. Dieses dokumentieren wenige erhaltene Zeugnisse.

 

         Mit »Royal propaganda and ideology« wendet sich H. nun einem ihrer eigenen Forschungsschwerpunkte zu. Mit den Münzen und den öffentlichen Staatsdokumenten sind die dokumentarischen Quellen angesprochen, die im täglichen Geschäft immer wieder das Königtum des Seleukos ins Bewusstsein brachten, und das H. bei der Vorstellung der Quellen kurz angerissen hatte. War noch zu Beginn der königslosen Diadochenzeit das Münzbild an den grundsätzlichen Alexander-Typen angepasst – die Legende verwies auf basiléōs Alexándrou –, änderte sich spätestens mit der Einrichtung der Diadochenreiche dieser Aspekt: Jetzt waren die Könige die Urheber und Rechtsinhaber, und sie nutzten diesen Raum. Die ersten Typen waren durch die Ankerdarstellung und die Umschrift ΦΙ(líppou) gekennzeichnet, die auf Philipp Arrhidaios verweist. Nach dem Sieg von Triparadeisos blieb zwar das Alexander-Porträt bestimmend, die Umschrift auf Seleukos jedoch manifestierte den Auftraggeber und den Münzherrn der Ausgaben. Dabei waren Ptolemaios und Demetrios bereit, einen weiteren Schritt zu gehen und das Alexander-Porträt durch ihr eigenes auszutauschen und den Herrschaftsübergang zu dokumentieren.

 

         Für Seleukos kann H. neben der Nähe zu Alexander auch ein Selbstbewusstsein konstatieren. Er ahmte zwar Ptolemaios mit einer Elefantensymbolik nach, bezog diese unter Hinzufügung der Athena auf einem Streitwagen jedoch auf seine basileía. Der mit Stierhörnern behelmte Pferdekopf auf einer Prägung aus Susa wird von H. unter Verweis auf eine jüngere Publikation von Müller und Watson (2009) allerdings nicht mit Bukephalos, dem treuen Pferd Alexanders d. Gr. verbunden, sondern als asiatische Ausdrucksform von Königtum und Göttlichkeit gesehen. Das ist überlegenswert, jedoch noch nicht vollends sicher. Während der Pferdekopf vor allem im Osten (und in Pergamon) auf Prägungen erscheint, wurde in den westlichen Münzstätten der Elefant mit dem Anker als seleukidische Zeichen und den jeweiligen städtischen Symbolen »verprägt«. Außerdem wurde natürlich auch das Königsporträt auf die Münzen geschlagen, königliche Propaganda war immer nach Änderungen der politischen Gesamtlage gefordert. Sein Sohn Antiochos hielt diese Auswahl der Motive ein, der behörnte Dynastiegründer auf der Vorderseite, das mit Hörnern versehen Pferd oder der Elefant auf der Rückseite, um beide Reichsteile gleichberechtigt darzustellen.

 

         Im achten Kapitel erreicht H. nun eines der Hauptthemen hellenistischer respektive seleukidischer Herrschaft, die Städtegründungen unter den Personennamen der eigenen Familie. Die Seleukiden waren darin keine Ausnahme und ahmten natürlich die königlichen Beispiele Alexanders des Großen nach. Seleukos verfolgte diesen Gründungsplan während seiner Herrschaft vor allem im Reichsosten, während erst seine Nachfolger – kurz vor seinem Übergang nach Europa und seiner Ermordung machte er Sardis zu seiner Hauptstadt, weil er sich eben dort aufhielt – als »Oikisten« bezeichnet werden können. H. geht nicht allen von Appian (Syr. 57) genannten seleukidischen Städtegründungen nach, sondern führt nur kurz die wichtigsten auf, darunter die Siedlungen der sog. syrischen Tetrapolis (Seleukia in Pierien [Silifke/Türkei], Antiocheia am Orontes [Antakya/Türkei], Laodikeia am Meer [Latakya/Syrien] und Apameia am Orontes [Afamia/Syrien] mit der Vorgängersiedlung Antiogoneia), Seleukia am Tigris/Ktesiphon (heute Tell ʿUmar), Ai Khanoum – vielleicht das Alexandreia Oxiane beim Dasht-e Qaleh im Grenzgebiet von Tadschikistan und Afghanistan. Von diesen Städten ist noch am besten das Luftbild von Dura-Europos das selbsterklärende Abbild eines griechisch erdachten, gleichmäßig konstruierten Katasterplans hippodamischer Ordnung. Zu Apameia prüfe man schon wegen der illegalen Grabungslöcher, die sich im Nachgang der Erosion im syrischen Bürgerkrieg aufgetan haben, die entsprechenden Aufnahmen in Google Maps (https://www.google.de/maps/search/apameia+syrien/@35.4205649,36.4016809,1425m/data=!3m1!1e3?hl=de; einen ähnlichen Eindruck legt auch die Aufnahme Abb. 33 aus Ai Khanoum mit all den illegal besorgten Raubgrabungslöchern nahe. In Abb. 18 [S. 123] kann Rez. allerdings keinen Plan von Apameia am Orontes erkennen, sondern ein horizontal gespiegelter, seitenverkehrt aufgesetzter Plan von Dura-Europos. Ähnliches gilt für die namentlich unbekannte Siedlung Jebel Khalid (dazu auch https://de.wikipedia.org/wiki/Jebel_Khalid;https://pleiades.stoa.org/places/481573620), die einmal vom Assad-Stausee verschluckt werden könnte; ein Siedlungsviertel war komplett dokumentiert, ein weiteres zum Teil ausgegraben worden, bis auch hier 2010 die Ereignisse ein Ende der Ausgrabungen bedeuten sollten. Der materiellen Hinterlassenschaft, die ein Nebeneinander von griechischen und lokalen Erzeugnissen, Werkzeugen, Baustilen und anderem bezeugt, widmet sich H. im letzten (und umfangreichsten) Kapitel. Dabei untersucht sie für die wichtigsten östlichen Regionen kurz und knapp die materiellen Zeugnisse, reiht die Funde und Ausgrabungsergebnisse aneinander; dabei nimmt H. die Terrakotten etwas näher in den Blick, sind sie doch mit ca. 20‘000 Exemplaren und Fragmenten eine der größten Fundgruppen aus den ausländischen Grabungen. Eine kurze Zusammenfassung, ein Abkürzungsverzeichnis, Bibliographie sowie ein Personen- und Ortsregister, dazu der Nachweis zu dem ausgesprochen anschaulichen bildlichen Material beschließen den Band.

 

         H. hat mit dieser Biographie noch einmal alles zusammengetragen, untersucht und systematisch gewertet, was wir heute von und zu Seleukos wissen. Dabei kam ihr zugute, dass seit den letzten großen biographischen Arbeiten verhältnismäßig wichtige Schätze neu aufgefunden und interpretiert werden konnten. Zeugnisse wie die babylonischen Tontäfelchen sind noch nicht in allen Aspekten betrachtet und untersucht worden, neue Täfelchen können trotz der politisch brisanten Ereignisse im Zweistromland hoffentlich für weitere Einblicke sorgen. Andererseits zeigen uns die politischen Ereignisse seit ca. 2010, dass politische Parteien nur selten Rücksicht auf die Zeugnisse der eigenen Geschichte walten lassen und alle Kulturbehörden der UNO »zahnlose Tiger« sein werden, solange sich das Umdenken unter den Handelnden nicht ändern wird. Deshalb ist die Seleukos-Biographie von H. eine wertvolle und für den Moment die aktuellste Studie, die sich nicht nur an die Wissenschaft, sondern an einen weiteren Interessentenkreis wendet, indem sie trotz spartanischem Anmerkungsapparat mit einer aktuellen Forschungsbibliographie besticht.

 

         Das Layout bzw. das Erscheinungsbild des Buches ist ansprechend; genügend Weißraum, nicht zu viel Text auf einer Seite, um das Publikum nicht über Gebühr zu strapazieren. Dazu werden auch die passenden Fotografien an den besten Stellen — auch das Kartendoppel im Vorsatz — eingestellt, alles in Harmonie, ohne schließlich zu perfekt zu sein. Die Schriftgröße der Anmerkungen ist allerdings zu gering ausgefallen, man muss schon sehr konzentriert lesen, um alles zu erfassen. Davon abgesehen, hätte man vielleicht auch überlegen können, statt des Kartendoppels zum Raum Mittelmeer bis Zweistromland eine Detailkarte des kleinasiatisch-levantinischen Raumes anzubieten.

 

         Außerdem hätte diesem Buch ein sorgfältiges Lektorat/Korrektorat gutgetan, typografische Fehler begleiten den Erkenntnisgewinn – dass dies weder für H. noch für den Verlag oder das Publikum befriedigend sein kann, ist zu erwarten. So darf Rez. gelegentlich die Anwendung der Regeln zur britischen Silbentrennung zumindest anzweifeln. Mehls biographische Studie zu Seleukos Nikator erschien nicht 1970 – Andreas Mehl war noch nicht promoviert –, sondern erst 1986, nachdem sie drei Jahre zuvor als Habilitationsschrift anerkannt worden war. S. 10, Z. 18: Gonatanas ist sicher eine Verschreibung für Gonatas. S. 50, Anm. 13: Mit dem Verweis auf »Wheatley 1998« und »she« liegt H. allerdings daneben; es handelt sich um Pat(rick) Wheatley, Prof. an der University of Otago, New Zealand und einer der profiliertesten Kenner der Diadochengeschichte. Damit gehen auch Orthografiefehler in der Bibliographie überein, einmal Wheatly, dann wieder Wheatley, bei beiden Personen handelt es sich um dieselbe, nämlich Patrick Wheatley (zu finden unter https://www.otago.ac.nz/classics/staff/wheatley.html [zuletzt 15.03.2021]). Die Bibliographie – die Aufführung der WWW-Adressen fehlt leider – hätte auch ihrer passenden Kompaktheit wegen mehr Sorgfalt bei der Sortierung verdient; selbst die Titel der Autorin stehen neben den Arbeiten anderer teilweise unsortiert hintereinander. Die hier notierten und dem Rez. bekanntgewordenen Quisquilizien schmälern den Ertrag nur wenig.