Bonfait, Olivier: Poussin et Louis XIV. Peinture et monarchie dans la France du Grand Siècle. 224 p., 48 ill., 142x210 mm, EAN : 9782754108133, 27 €
(Hazan, Malakoff 2015)
 
Compte rendu par Xenia Ressos, Leopold-Franzens Universität Innsbruck
 
Nombre de mots : 1479 mots
Publié en ligne le 2016-06-28
Citation: Histara les comptes rendus (ISSN 2100-0700).
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          Nicolas Poussin, 1594 in Les Andelys in der Normandie geboren, gilt als Begründer einer nationalen, genuin französischen Malerei im 17. Jahrhundert, als Inkarnation des französischen Klassizismus – und das, obwohl er 1624 nach Rom zog, wo er von einem dreijährigen, von Misserfolgen geprägten Aufenthalt in Paris abgesehen bis zu seinem Tode 1665 tätig blieb und den Hauptteil seines Œuvres schuf. Von italienischen Künstlern und Literaten entsprechend in eine römische Tradition gestellt, beginnen in Frankreich bereits zu seinen Lebzeiten Bestrebungen, ihn für eine translatio artis zu vereinnahmen und als Maler der absolutistischen Monarchie zu stilisieren.

 

         Motivation und Ausdrucksform dieses Prozesses stehen im Fokus der aktuellen Publikation von Olivier Bonfait. Zum Teil auf Untersuchungen seiner 2003 veröffentlichten Habilitationsschrift zurückgreifend[1], verfolgt er das Ziel, sowohl den Wirkungsraum als auch die Rezeption des Künstlers in den Diskursen des 17. Jahrhunderts zu analysieren, um den ‚Mythos Poussin‘ zu dechiffrieren.

 

         Gegliedert in fünf große, mit einer Ausnahme mehrfach unterteilte Abschnitte stellt Bonfait zunächst Poussins gut zwölfjährige Anfangszeit als Maler in Paris vor und beschreibt, wie er nach seiner Ankunft in Rom innerhalb weniger Jahre zu einem der wichtigsten Künstler der Stadt aufsteigt. Sich nahezu von Beginn an in Intellektuellenkreisen bewegend, pflegt er dort in den ersten sechs Jahren keinerlei Beziehung zu seinem Heimatland, in dem er bis in die frühen 1630er Jahre kaum wahrgenommen worden zu sein scheint. Erst als der spanische König Philipp IV. sein Interesse bekundet und zwei Historiengemälde bestellt, erhält Poussin auch aus Frankreich seinen ersten Auftrag: Kardinal Richelieu erwirbt 1635/1636 drei Bacchanalien, die in Paris den Beginn einer wachsenden Aufmerksamkeit gegenüber dem Künstler kennzeichnen. Es dauert nur wenige Jahre, bis Poussin aufgrund seines Ranges „unter den berühmtesten und exzellentesten Malern ganz Italiens“[2], wie ihm der französische König Ludwig XIII. 1639 schreibt, nach Paris gerufen wird. Bonfait skizziert die Schwierigkeiten, auf die der ab 1640 am Hofe weilende Künstler stößt, und erläutert, wie Poussin an den an ihn gestellten Erwartungen – insbesondere in Bezug auf die monumentale Gewölbeausmalung der Grande Galerie des Louvre – scheitert und Frankreich bereits 1643 vorzeitig wieder verlässt.

 

         Während ihn französische Sammlerkreise in dieser Zeit für sich entdecken, besteht in den zwanzig Jahren nach Poussins Abreise aus Paris keine Beziehung zwischen dem deklarierten Premier peintre du Roi und dem französischen Königshaus. Auch in die 1648 gegründeten Pariser Académie royale de peinture et sculpture wird er Zeit seines Lebens weder als Mitglied noch als Schirmherr eingeladen. Nichtsdestotrotz treten schon bald Mechanismen in Kraft, die Poussin zunehmend Autorität verschaffen. So ruft der Kupferstecher Abraham Bosse 1649 in seinen den „Messieurs de l’Academie royale“ gewidmeten Sentiments sur la distinction des diverses manières de peinture, dessin et gravure et des originaux d’avec leurs copies zur graphischen Auseinandersetzung mit den Gemälden Poussins auf, den er nicht nur neben Pietro da Cortona als besten Maler seiner Zeit, sondern gar als einen aus Frankreich hervorgegangenen Raffael bezeichnet. Zwei Jahre später feiert ihn Roland Fréart de Chambray im Vorwort seiner von Poussin illustrierten Übersetzung von Leonardo da Vincis Malereitraktat[3] als neuen Apelles. Auch er betont nachdrücklich Poussins Nationalität als Franzose, was von nun an in verschiedenen in Frankreich erscheinenden Schriften, die Künstler in Paris oder Rom behandeln, immer wieder aufgegriffen wird[4].

 

         Die schriftliche Auseinandersetzung mit Poussin in den 1650er Jahren verändert seine Position in Frankreich innerhalb von 15 Jahren vollkommen. Gestützt von Bewunderern aus den intellektuellen Kreisen um Paul Fréart de Chantelou hat sich der einst in Paris gescheiterte Maler bereits 1658 in einen Verfechter der „gloire“ der französischen Nation verwandelt[5]. Maßgeblich für die Verknüpfung seines Namens mit der absolutistischen Monarchie wird vor allem André Félibien, der Poussin in seinen zwischen 1666 und 1688 in mehreren Bänden herausgegebenen Entretiens sur la vie et les ouvrages des plus excellens peintres anciens et modernes als von der italienischen Kunst vollkommen unabhängiges, dezidiert französisches Genie stilisiert.

 

         Während Ludwig XIV. 1665 beginnt, Gemälde von Poussin zu erwerben – 20 Jahre später werden sich über 30 von ihnen im Besitz der Krone befinden[6] – trägt auch die unter der Regie Colberts stehende Akademie dazu bei, ein dem Ruhm des Königs dienendes Bild des Malers aufzubauen. Eine Schlüsselposition kommt hierbei Charles Le Brun zu, der die über Jahre intensiv geführte Auseinandersetzung mit Poussin in den Konferenzen initiiert und ihn zu einer unanfechtbaren ‚auctoritas‘ aufbaut. Die besprochenen, stets im Sinne der jeweils aktuell diskutierten kunsttheoretischen Thesen adaptierten Gemälde entgehen jedoch schon früh keineswegs einer deutlich geäußerten Kritik. Durch vehementes Einschreiten Le Bruns wird diese zwar weitgehend unterdrückt, bleibt jedoch unterschwellig die folgenden Jahrzehnte hindurch am Gären.

 

         Trotz der intensiven Beschäftigung mit Poussin in der Akademie und seine Stilisierung zum nationalen Künstler par excellence, ist sein Einfluss auf die französische Kunst des 17. Jahrhunderts vergleichsweise gering[7]. Gemäß Bonfaits Untersuchungen spielt eine dezidierte Poussinrezeption weder in der Ausbildung, noch in der Karriere der Maler in der zweiten Jahrhunderthälfte eine außergewöhnlich große Rolle. Die Frequenz, mit der sein Name in dem zeitgenössischen kunsttheoretischen Diskurs auftritt, steht damit im Widerspruch zu seiner praktischen Bedeutung für die unter Ludwig XIV. an die Malerei gestellten Anforderungen.

 

         Im vierten Abschnitt seines Buches kommt Bonfait auf Félibien als Initiator des in Frankreich geführten Diskurses über Poussin und seine Rolle als Gründer der französischen Malerei zurück. Die Bedeutung, die der Nationalität des Malers vor dem Hintergrund der schwelenden künstlerischen Rivalität zwischen Rom und Paris im 17. Jahrhundert zukommt, verdeutlicht er durch die Gegenüberstellung von Félibiens Entretiens mit der Biographie, die Giovanni Pietro Belloris Vite de‘ pittori, scultori e architetti moderni (1672) enthält. Sich gegen den bereits im 1666 erschienenen Vorwort der Entretiens deutlich werdenden „kulturellen Imperialismus“ auflehnend[8], stellt Bellori Poussin als Erben Raffaels und Nachfolger Annibale Carraccis, d.h. als einen ausdrücklich der italienischen Kunst verpflichteten Maler dar. Félibien konstruiert dagegen das Bild eines universellen, von Rom gänzlich unabhängigen Genies, dessen Meisterschaft in direkter Art und Weise an die Kunst des antiken Griechenlands anknüpft und als Höhepunkt in der Geschichte der Malerei die Künste Frankreichs unter Ludwig XIV. zum Ruhme der Nation zum Erblühen bringt.

 

         Dem in den Traktaten und Konferenzen forcierten Bild Poussins als Aushängeschild der Nation scheint die tatsächliche Wertschätzung durch den König jedoch nur bedingt zu entsprechen. Trotz der bis in die 1680er Jahre erfolgten Ankäufe seiner Gemälde durch die Krone belegen die Inventare der königlichen Paläste, dass sie dort nur wenig prominent angebracht wurden.

 

         Bonfait schließt mit dem Fazit, dass im Frankreich des Grand Siècle eine Divergenz zwischen Poussins berühmten Namen und seinen unterschiedlichen Wahrnehmungen herrscht, und geht diesen im finalen Kapitel seines Buches in ausgewählten zeitgenössischen Quellen auf die Spur. Neben verschiedenen Lexika und dem Mercure galant nimmt er Roger de Piles Abrégé de la vie des peintres avec des réflexions sur leurs ouvrages (1699), Charles Perraults Les Hommes illustres qui ont paru en France pendant ce siècle (1697) sowie François de Salignac de La Mothe-Fénelons Dialogue des morts (1692-1695) in den Fokus, welche die z.T. gegensätzlichen Bilder von Poussin exemplarisch wiedergeben.

 

         In Bonfaits faktenreicher Publikation stehen weniger einzelne Kunstwerke oder die kunsttheoretischen Reflexionen Poussins im Zentrum des Interesses, als vielmehr seine Wahrnehmung in Intellektuellen- und Künstlerkreisen im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Indem der Autor die Bestände relevanter Sammlungen des 17. Jahrhunderts ausführlich analysiert, stellt er die aus schriftlichen Quellen ableitbare Rezeption Poussins der merkantilen Verbreitung seines Œuvres gegenüber. Die Bezugnahme der hieraus abgeleiteten Ergebnisse mit den nicht zuletzt durch die Akademie forcierten Strategien der Vereinnahmung und Instrumentalisierung des Künstlers im Interesse der französischen Monarchie rundet die Untersuchung ab, die durch die Fokussierung auf Poussins Verbindung zur Politik einen neuen Forschungszugang zu dem Phänomen des trotz seines Scheiterns am Hofe zu einem der bedeutendsten Maler des französischen Grand Siècle aufsteigenden Künstler bietet.

 

 


[1] Olivier Bonfait, Rome ­– Paris, 1630-1680. Poussin et le grand format: comment la France s’approprie l’idée de peinture (Habil.-Schrift, Univ. de Paris IV-Sorbonne 2003), Paris 2003.

[2] „[…] du rang que vous tenez parmi les plus fameux et les plus excellents peintres de toute l’Italie.“ Vgl. Bonfait 2015, S. 45.

[3] Roland Fréart de Chambray, Traitté de la peinture de Léonard de Vinci donné au public et traduit d’Italien en François, Paris 1651

[4]Exemplarisch verweist Bonfait auf Berthods La Ville de Paris en vers burlesques (1652) sowie Nicolas de Bralions Les curiosités de l'une et l'autre Rome (1655)

[5]So unterstreicht Philippe Emmanuel de Coulanges in seiner 1658 veröffentlichten Relation de mon voyage d’Allemagne et d’Italie: „ Le Poussin, dont le mérite est si connu et duquel comme Français je me sens obligé de dire à la gloire de ma nation qu s’il ne tient pas le premier rang […]“. Vgl. Bonfait 2015, S. 105.

[6] Gemäß Le Bruns Inventar von 1685 befanden sich unter den 483 Gemälden der königlichen Sammlung 31 von Poussin. Vgl. Bonfait 2015, S. 108.

[7] Vgl. Bonfait 2015, S. 187

[8] Vgl. Bonfait 2015, S. 191.